Frauen, wir müssen reden. Wir mögen keine Hemmungen haben, über Lieblingspositionen, Spielzeuge und Verhütung zu sprechen. Doch ein grundsätzliches Thema rund um den Sex erfährt zu wenig Aufmerksamkeit – denn wenn es um Schmerzen geht, werden viele von uns plötzlich stumm. Auch ich.

"Viele Frauen wachsen mit der Erwartung auf, dass Sex Schmerzen bereitet", erklärt Debby Herbenick von der Indiana University in einem Artikel von Mic, der sich mit dieser rätselhaften Verschwiegenheit befasst.

Einer Studie der Universität zufolge erlebt rund ein Drittel der Frauen irgendeine Form ungewollten Schmerzes während des vaginalen Verkehrs – bei Männern hingegen waren es nur sieben Prozent. Laut dem American Congress of Obstetricians and Gynecologists sind es drei von vier Frauen, die solche Beschwerden irgendwann in ihrem Leben plagen – ob temporär oder längerfristig.

Ich bin wirklich eher daran gewöhnt, dass Sex weh tut. In der Regel nur kurz. Doch manchmal bin ich eben auch froh, wenn’s vorbei ist. "Vor ihrem ersten Mal sprechen wir mit jungen Frauen nicht darüber, wie lange sie damit rechnen müssen, dass Sex unangenehm ist", so Herbenick. Tatsächlich habe ich im Sexualkunde-Unterricht mehr über Flimmerhärchen und Präejakulat gelernt als darüber, wie sich Sex auf jeden Fall nicht anfühlen sollte.

Da stimmt doch etwas nicht und es wird Zeit, dass wir unserer Vagina einen Gefallen tun und sie mit mehr Respekt behandeln. Darum habe ich beschlossen, mich schlau zu machen und mir Rat bei Frau Dr. Maria J. Beckermann gesucht. Die Frauenärztin und Sexualtherapeutin ist mittlerweile im Ruhestand und hat viele Frauen behandelt, die mit schmerzhaftem Sex zu kämpfen hatten.

Meist sind es keine körperlichen Ursachen

Medizinische Gründe für schmerzhaften Sex gibt es dutzende. Frauen, die auch nach dem Verkehr Beschwerden haben, sollten zu Gynäkolog*innen gehen. Endometriose kommt zum Beispiel bei Frauen relativ häufig vor, so Dr. Beckermann.

Hierbei wuchert die Gebärmutterschleimhaut außerhalb der Gebärmutterhöhle und in ihrer unmittelbaren Umgebung. Zu den diversen Symptomen zählen unter anderem starke Unterleibsschmerzen auch außerhalb der Regel, die sich bis in den Rücken oder in die Beine ziehen – und eben Beschwerden beim vaginalen Sex.

Eine weiterer Grund kann auch der sogenannte Vaginismus sein – ein Scheidenkrampf, der das Eindringen unmöglich macht. In seiner extremsten Form verhindert er sogar das Einführen eines Tampons. Laut Dr. Beckermann wird Vaginismus durch meist unbewusste Ängste verursacht, die aus irgendeinem Grund das Eindringen eines fremden "Objekts" zu blockieren versuchen. Sie rät in so einem Fall zu einer Verhaltenstherapie. So lassen sich die Verkrampfungen nach und nach abbauen.

Aber – und das ist nicht nur für Vaginismus-Betroffene wichtig: "Es gibt auch viele Frauen, die sich damit arrangieren. Die also für sich entschieden haben, dass sie keinen vaginalen Sex haben müssen – seien es heterosexuelle oder lesbische Frauen." Sie und ihre Partner*innen fänden dann einfach andere Methoden, um befriedigenden Sex zu erleben. Somit handele es sich nicht um ein Symptom, das behandelt werden muss, wenn die Frau damit leben kann und möchte. "Das ist nur notwendig, wenn ein Leidensdruck besteht – oder vielleicht ein Schwangerschaftswunsch."

Schmerzen beim Sex können also ein Alarmzeichen für ernstzunehmende gesundheitliche Probleme sein, doch "in den allermeisten Fällen sind es keine körperlichen Ursachen." Vor allem junge Frauen kämpfen damit, erklärt mir Dr. Beckermann.

Das habe zum einen physische Gründe: Bei jungen Frauen sei manchmal das Verhältnis zwischen Penis und Vagina nicht ganz passend. Je älter sie werden, das heißt, je häufiger sie vaginalen Sex hatten, desto mehr dehne sich der Scheideneingang. Nach dem Kinderkriegen sowieso. Darum erleben ältere Frauen das Eindringen in ihre Vagina weniger häufig als schmerzhaft.

"Sexualität ist nichts, was vom Himmel fällt"

Neben den körperlichen Voraussetzungen spielt die Erfahrung eine essenzielle Rolle. Probleme mit dem vaginalen Verkehr sollten nicht als etwas Krankes stigmatisiert werden, so Dr. Beckermann. "Sexualität ist nichts, was vom Himmel fällt, sondern etwas, das gelernt werden muss." Romantische Verklärungen im Sinne von "Wenn man sich genug liebt, dann wird das schon" helfen da nicht. Wir müssen lernen, was uns erregt, um der Vagina die optimale Starthilfe zu geben. Denn mit ausreichend Feuchtigkeit und weiten Blutgefäßen ist da drinnen alles gut abgepolstert.

Erleben Frauen das Eindringen als schmerzhaft, liegt das oft daran, dass sie schlicht nicht ausreichend erregt sind. Viele setzen sich dann unter Druck und finden es unmöglich, sich zu entspannen. "Ich rate Frauen immer, besonders kompetent in ihrer eigenen Sexualität zu sein."

Dazu gehört:

Sich selbst befriedigen. Frauen, die sich selbst zum Höhepunkt bringen, tun nicht nur was für ihr eigenes Wohlbefinden, sondern auch für ihr Selbstbewusstsein und somit für ihre Partnerschaften. Eine Frau, die sich kennt, kann ihrem Partner oder ihrer Partnerin zeigen, was sie mag und was sie braucht – und vermeiden, was ihr weh tut.

Kontrolle behalten. Frauen, denen Sex bisher Schmerzen bereitet hat, sollten Positionen wählen, in denen sie das Einführen selbst dirigieren können, indem sie bestimmen wie schnell und wie tief das passiert.

Ängste konfrontieren. Viele Frauen fürchten ihre Sexualpartner*innen zu "vertreiben", wenn sie ihre Beschwerden ansprechen oder den Sex sogar abbrechen müssen. Unser Verständnis von Sex ist so von imaginären Normen geprägt, dass sich das unweigerlich im Schlafzimmer (oder wo auch immer) auswirkt. Zu sagen "Bei mir ist das anders" oder "So geht das nicht", mag zunächst Überwindung kosten, gibt dem Partner oder der Partnerin jedoch überhaupt erst die Chance, sich als gute*r Liebhaber*in zu erleben. Schließlich ist nicht nur die eigene Lust befriedigend.

An wen können sich Frauen also wenden?

Ansprechpartner*innen können Frauenärzt*innen mit dem Zusatztitel Psychotherapie sein. Es gibt bei dem Thema Nachholbedarf in vielen gynäkologischen und Hausarztpraxen, die nicht psychosomatisch ausgerichtet sind. "Viele Ärzte sprechen nicht gern darüber, weil sie sich in der Hinsicht nicht kompetent fühlen."

Im Praxisalltag gibt es dringendere Aufgaben, als mit jungen Frauen über sexuelle Emanzipation zu sprechen. Es ist auch gar nicht nötig, Arztpraxen aufzusuchen. Frauen, Männer und auch Paare können sich laut Dr. Beckermann für die Sexualberatung an Einrichtungen von pro familia zuwenden. Bei deren Sexualpädagog*innen seien Betroffene gut aufgehoben.

Denn Schmerzen beim Sex sind, egal wie gering sie uns erscheinen mögen, immer der Rede wert. Sex ist nicht immer supertoll – aber weh tun sollte er wirklich nicht.