Martina Löw ist Professorin für Soziologie an der Technischen Universität Berlin (TU Berlin). Ihre Forschungsgebiete sind Stadtsoziologie, Raumtheorie sowie Architektur- und Planungssoziologie. Sie war beratend in vielen Stadtentwicklungsprojekten tätig.

Im Interview mit ze.tt erklärt Löw, woran es liegt, wenn eine Stadt uns glücklich macht. Oder das Gegenteil.

ze.tt: Frau Löw, woran liegt es, dass es mit bestimmten Städten funkt, mit anderen aber so gar nicht?

Martina Löw: Man muss sich klarmachen, dass über die Zeit hinweg soziale wie auch kulturelle Strukturen in Städten wachsen. Diese machen Städte einzigartig. Darüber hinaus stehen Städte in komplexen Beziehungen untereinander. Sie grenzen sich voneinander ab und entwickeln in Konkurrenz ihr spezifisches Profil. 

Es gibt Städte, die strukturell zu uns passen oder eben nicht.

Nun sind auch noch wir Menschen komplex strukturiert, haben unsere Persönlichkeit entwickelt und bringen eigene Kindheitserfahrungen mit. In dieser Gemengelage gibt es Städte, die strukturell zu uns passen oder eben nicht. Anders gesagt: In manchen Städten fühlen wir uns spontan wohl, in anderen nicht.

Welche Städte sind Ihre Favoriten?

New York und Tokyo sind mir die allerliebsten. Neapel finde ich auch großartig.

Sie forschen zum Thema Eigenlogik von Städten. Was war der Auslöser für dieses Forschungsinteresse?

Das hatte viel mit der Globalisierungsdebatte zu tun. Es entstand der Verdacht, dass die Besonderheit der Orte bei all der Vereinheitlichung überhaupt keine Rolle mehr spielt. Es hatte den Anschein, dass viel kulturell gleichgemacht wird: überall tragen die Menschen die gleiche Kleidung, hören dieselbe Musik, die Restaurants haben eine ähnliche Innenarchitektur und vergleichbares Essen. Das stimmt jedoch nur zum Teil, denn die gleichen Dinge werden vor Ort oft unterschiedlich interpretiert. Außerdem zeigen viele Orte auch eine gewisse Widerstandsfähigkeit gegen Gleichförmigkeit. Dem nachzugehen und zu verstehen, was Städte eigenständig und individuell bleiben lässt, war meine Intention.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Die Zeitdimension ist eine besonders wichtige. Zum Beispiel, wie schnell Entscheidungen getroffen werden: Es gibt Städte, die Probleme eher langsam und differenziert angehen. In anderen Städten wie Frankfurt hingegen werden Entscheidungen sehr zeiteffizient getroffen. Ich kenne Künstler, die sagen, Frankfurt ist mir viel zu hektisch. Da gehe ich lieber nach Darmstadt, in die entschleunigte Nachbarstadt. Andere sagen dann wiederum: 'Darmstadt macht mich total nervös. Bis da mal was passiert...'

Wo kann man sonst noch eine Eigenlogik von Städten erkennen?

Es geht auch immer darum, wie eine Stadt das Zusammenleben für sich auslegt. Ob sie sich eher auf die Zukunft oder die Vergangenheit bezieht. Ein interessantes Beispiel ist die 68er-Revolution, die in verschiedenen Städten ganz unterschiedlich gelebt wurde, darunter Freiburg, Frankfurt und Berlin. Das hat etwas mit der Größe der Städte zu tun, aber nicht nur. Es gibt je nach Stadt eine andere Art und Weise zu demonstrieren oder zu rebellieren. Sogar die Stimmung auf den Partys hat sich je nach Stadt unterschieden.

Das ist also mit Eigenlogik gemeint. Gibt es somit verschiedene Typen von Städten und damit auch Typen von Menschen, die zu diesen Städten passen?

Ja, das Ziel der Forschung zur Soziologie von Städten ist es langfristig, sie in Typen einteilen zu können und Muster zu erkennen. Nach dem Motto: In diesem Typ von Stadt muss sich ein bestimmter Typ Mensch auf dieses und jenes einstellen. Dafür muss die Forschung aber noch weitergehen und vor allem internationaler werden. Was wir bisher wissen, reicht noch nicht aus, um so eine Typologie zu bilden.

Wie wirkt sich das auf die Lebensqualität aus, im falschen Typ von Stadt zu leben?

Das wird in der Regel als psychischer Stress erlebt. Man ist angespannt und fühlt sich nicht richtig wohl.

Wird es zukünftig Veränderungen innerhalb der Städtetypen geben, zum Beispiel, weil sich die Bauweise und Architektur ändert?

Das ist möglich, aber oft ein sehr langsamer Prozess. Zunächst verändern sich nur Teilbereiche. Wenn man sich die Struktur einer Stadt wie einen komplex gewebten Zopf vorstellt, dann kann man natürlich die eine oder andere Strähne abschneiden oder einfärben. Dadurch verändert sich der Zopf ein wenig, aber nicht die Struktur des Zopfes. So geht es den Städten auch. Gibt es also über einen längeren Zeitraum Veränderungen an immer mehr Stellen, dann wirkt sich das irgendwann auch als Strukturveränderung aus. Langfristig kann sich der Stadttyp dann auch wandeln. Je mehr sich verändert, desto eher ändern sich Praktiken und Wirklichkeitsinterpretation in Städten. An Berlin sehen wir zum Beispiel, dass man hier mit der Ernennung zur Hauptstadt und der Vereinigung mit der DDR deutliche Veränderungen herbeigeführt hat. Die Eigenlogik von Berlin ist nach wie vor klar zu erkennen, aber die Stadt wandelt sich dennoch. 

Und wenn eine Stadt einer*m auf Anhieb nicht gefällt, kann man die Liebe zu eben dieser auch erst über eine längere Zeit entwickeln? Also quasi Liebe auf den zweiten Blick?

Ja, auf jeden Fall. Prinzipiell ist es so, dass man sich relativ schnell in den Rhythmus einer Stadt einfügt. Manchmal braucht es aber doch länger, bis man sich an Routinen und Zeitmuster einer Stadt gewöhnt. Zwang hilft manchmal, wenn man zum Beispiel durch Studium oder Arbeitsplatz an die Stadt gebunden ist.

Es gibt Stadtstrukturen, mit denen man nie wirklich klarkommt. Dann sollte man umziehen.

Hilfreich ist auch, wenn man sich vom Typ her eher mit Situationen abfinden kann. Es gibt aber auch Strukturen, mit denen man nie wirklich klarkommt. Dann sollte man umziehen. Mit anderen arrangiert man sich irgendwann und gewinnt sie vielleicht sogar lieb, obwohl sie zuvor ein Störfaktor waren. Das Wetter in Hamburg zum Beispiel.

Welche Methoden können dabei helfen, doch noch seinen Frieden mit der ungeliebten Stadt zu machen?

Auf die positiven Seiten der Stadt achten! Jede Stadt hat ihre Vorteile. Die Geschichte einer Stadt zu verstehen, hilft auch. Sich für Veränderungen in der Stadt zu engagieren, schafft Identifikation. Vielleicht sollte man mit einer eigenen kleinen Eigenlogik-Studie beginnen.