Wir leben in unsteten Zeiten, Bindungsangst scheint wie eine Epidemie, gebrochene Herzen liegen überall herum. Liebe, das ist dieses ätherische, ungreifbare, flüchtige Gefühl. Und es kann ziemlich verwirrend sein, es zu erkennen und zu verstehen.

Manchmal trifft man Menschen, mit denen es klick macht. Und zwar auf allen Ebenen. Wie eine Tür mit 20 Schlössern, die alle gleichzeitig aufgehen. Plötzlich erreicht das Gefühl der Liebe eine andere Dimension, wir spüren zum Beispiel instinktiv, wenn es dem*der anderen nicht gut geht – selbst, wenn er*sie kilometerweit weg ist. Auch nach vielen Jahren noch.

Was ist das für eine merkwürdige Verbindung? Gibt es wahre Liebe an sich überhaupt oder sind das eher Wunschdenken und Einbildung gepaart mit einem komplexen psychologischen Konstrukt aus unverarbeiteten Kindheitstraumata?

Was heißt hier überhaupt Liebe?

Ja, es gibt unerklärliche Verbindungen zwischen Menschen. Experimente von US-Forschern haben beispielsweise gezeigt: Bei Paaren gleichen sich Herzschlag und Atmung an. Nun mag das zwar ganz zauberhaft sein, ist aber an sich nicht gleichbedeutend mit wahrer Liebe. Das romantische Ideal von dem einen einzigen richtigen Menschen auf der Welt für jede*n von uns ist nach wie vor weit verbreitet. Wer den*die Richtige*n trifft, soll automatisch ohne jeden Aufwand permanent glücklich sein, weil es ja eben der*die Richtige ist und perfekt passt. Logisch, dass das zu überhöhten Erwartungen führt, die dann fast zwangsläufig enttäuscht werden.

Davon mal abgesehen, dass wir uns – im Idealfall – kontinuierlich entwickeln und es allein schon deshalb im Laufe eines Lebens mehrere zur jeweiligen Phase passende oder eben nicht (mehr) so gut passende Personen gibt, ist nichts im Leben dauerschön.

Dazu kommt die Tatsache, dass jede*r ein anderes Verständnis davon hat, was Liebe für ihn*sie bedeutet. "Liebe ist eine eigenständige Kraft mit vielen Namen, zum Beispiel Vertrauen, Wertschätzung, Respekt, Ehrlichkeit, Toleranz, Loyalität – um nur einige zu nennen", sagt die Beziehungsexpertin Birgit Natale-Weber. Es sei daher wichtig, sich selbst zu kennen und zu entscheiden, was von all den Dingen für uns persönlich das Wichtigste in der Liebe ist; das kann von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich ausfallen.

Insgesamt heißt das also: Schicksalhafte Vorbestimmung ist Quatsch, manchmal stimmt zwar der Mensch, aber das Timing nicht, und wenn grundsätzliche Ansichten in Sachen Liebe nicht deckungsgleich genug sind, passt es auch nicht. Hm. Wahre Liebe ist also nichts Magisches, das uns wie in Filmen oder Büchern einfach so passiert. Aber was dann?

Daran erkennen wir wahre Liebe

"Die Summe unserer Erfahrungen seit der Geburt bestimmt unsere spätere Interpretation von Liebe", erklärt Birgit Natale-Weber. Dysfunktionale, traumabasierte Beziehungen laufen ohne großen Aufwand, weil die Beteiligten ihren eingefahrenen Mustern folgen. Damit einhergehendes Drama plus Chaos und Streit fühlen sich vertraut an. Diese Art der Liebe scheint oft filmreif leidenschaftlich, baut aber im Grunde bloß die Bühne, um ungelöste Kindheitskonflikte auflösen zu können. (Spoiler: klappt natürlich nicht.)

Wahre Liebe hingegen bedeute loslassen, akzeptieren und annehmen: "Das ist die eigentliche Herausforderung, denn durch Fehlinterpretationen aus Kindheitstagen machen wir unbewusst genau das Gegenteil: Wir versuchen, Bedingungen zu stellen, und halten an Beziehungen fest", sagt die Beziehungsexpertin.

Um wahre Liebe erkennen und erleben zu können, ist es im ersten Schritt unerlässlich, sich selbst zu verstehen. "So erlangen wir Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen und erkennen, was wir für 'unsere Liebe' brauchen", sagt Birgit Natale-Weber. Dazu gehöre auch die Frage, wo wir zu Kompromissen bereit und wo unsere Grenzen seien. "Aufrichtigkeit bedeutet, zu sich selbst und seinen Werten zu stehen", meint die Beziehungsexpertin. Das heißt dann eben auch, Nein zu sagen, wenn diese Grenzen verletzt werden.

Im nächsten Schritt mit Blick auf den*die Partner*in kommt dann die Frage: Haben wir die gleichen Werte in Sachen Liebe oder unterscheiden wir uns so sehr, dass es auf Dauer zu viel Reibung gibt? Und drittens: Liebe ich ihn*sie auch dann, wenn er*sie nicht so funktioniert, wie ich mir das vorstelle?

Ob wir selbst aufrichtig geliebt werden, lässt sich laut Birgit Natale-Weber unter anderem an echtem Interesse, Wertschätzung und Respekt erkennen. Wer liebt, gibt genügend Raum, nimmt den*die anderen auf Augenhöhe ernst, ist interessiert an der Person und sucht gemeinsam nach Lösungen und Kompromissen.

"Muss ich mich hingegen zu häufig anpassen, geht es meistens nicht um gemeinsame Augenhöhe, sondern dient der Befriedigung eigener Bedürfnisse", sagt die Expertin. "Oft läuft so etwas im Unterbewussten ab und kann durch ein Gespräch aufgedeckt werden. Allerdings nur, wenn der Partner es zulässt." Anders gesagt: Beide müssen an sich selbst und ihrer Beziehung arbeiten wollen.

Arbeit statt Machtspiele

Wahre Liebe schenkt Kraft; traumabasierte Beziehungen schränken hingegen ein und rauben Energie. Wer sich ambivalent verhält und den*die anderen zum Beispiel immer ein Stück weit in Ungewissheit baumeln lässt, nährt das Herz nicht, sondern lässt es ausbluten. Wahre Liebe besteht nicht aus Machtspielchen.

Sie bedeutet kontinuierliche Arbeit, konstante Reflexion, immer wieder die bewusste Entscheidung dafür und damit gegen vieles andere. Sie hält Veränderung aus, weil die Basis stimmt. Wahre Liebe heißt nicht, sich nach dem*der anderen zu verzehren und an nichts anderes mehr denken zu können. Wahre Liebe hilft, ein stabileres, erfüllteres Leben zu führen; sie bedeutet gegenseitige Unterstützung und Halt in dieser unsteten Welt. Ja, das mag weniger leidenschaftlich klingen. Aber nicht weniger romantisch.