Am Sonntag wird in Polen ein neues Parlament gewählt. Seit 2015 regiert die nationalkonservative PiS-Partei. Wir haben mit fünf jungen Pol*innen über ihre Hoffnungen gesprochen.

Anna Bucyk, 30, ist Unternehmerin in Warschau: "Ich wünsche mir sehr, dass sich etwas verändert, aber viel Hoffnung habe ich nicht"

Der Hass gegen queere Menschen und Menschen mit Migrationshintergrund ist in den vergangenen vier Jahren unter der PiS-Regierung sehr groß geworden. Das macht mir Angst. Und ich glaube, dass viele Pol*innen Angst vor Veränderung in unserem Land haben. Deshalb wählen sie die PiS, die Stimmung gegen alles macht, was den Blick unserer Gesellschaft auf andere Formen von Liebe und Familie positiv verändern könnte. Ich denke, dass die PiS mit der Kirche zusammenarbeitet, um Wähler*innen zu gewinnen. Die katholische Kirche ist für viele immer noch sehr wichtig — und die spricht sehr negativ über die LGBTQ-Bewegung, vor allem auf dem Land.

Das ist Hate Speech.

Ich bin katholisch, aber ich gehe schon seit zehn Jahren nicht mehr in die Kirche, weil ich der Institution nicht vertraue. Am 11. November, dem polnischen Unabhängigkeitstag, haben sich rechtsnationale Gruppen in Warschau versammelt und die Stadt mit ihren rechten Parolen überzogen. Sie haben gerufen, dass Polen nur für vermeintlich echte Pol*innen wäre. Das ist Hate Speech und es empört mich. Viele meiner Freunde haben vor vier Jahren nicht gewählt, weil sie nicht wussten, für welche Partei sie abstimmen sollten. Deshalb versuche ich jetzt, möglichst viele Menschen dazu zu bringen, dieses Mal zur Wahl zu gehen. Ich wünsche mir sehr, dass sich etwas verändert. Viel Hoffnung habe ich allerdings nicht.

Piotr Andrzejewski, 32, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Posen: "Die junge Generation hat keinen Bezug mehr zum alten, kommunistischen Polen"

Die PiS ist ein populistischer Gemischtwarenladen. Viele Menschen, die sie wählen, sind konservativ und orientieren sich an der katholischen Kirche. Andere, so wie ich, unterstützen die Partei wegen des Wirtschaftsprogramms. PiS folgt dem, was die Bürger*innen verlangen. Die junge Generation ist im Kapitalismus aufgewachsen und hat keinen Bezug mehr zum alten, kommunistischen Polen. Wir wählen PiS, weil die Partei dafür sorgt, dass es Karrierechancen gibt und die Gründung von Start-ups möglich ist. Dieses Jahr wurde auch die Einkommenssteuer für junge Menschen abgeschafft, was die wirtschaftliche Situation weiter verbessern wird. Ganz wichtig ist das Kindergeld. Mit dem Programm 500 Plus bekommen Familien ab dem ersten Kind pro Monat 500 Złoty, das sind 115 Euro. In Polen viel Geld.

Die PiS ist ein populistischer Gemischtwarenladen.
Piotr Andrzejewski

Durch diese Unterstützung können gerade junge Familien mit ihren Kindern auch mal an die Ostsee fahren oder Schulbücher kaufen. Manche Familien nutzen 500 Plus, um Schulden abzubauen. Ich bin selbst Vater von zwei Kindern. Das Geld lege ich für ihre Bildung an. Zur Parlamentswahl wünsche ich mir mehr wirtschaftliche Stabilität und einen starken Staat. Ich hoffe, dass die PiS in Zukunft noch mehr in die Infrastruktur, in Feuerwehr und Polizei in ganz Polen investiert. Unter der liberalen Bürgerplattform (Platforma Obywatelska) wurde das leider vernachlässigt.

Annika Turkowski, 30, ist Kunsthistorikerin in Berlin: "Viele Pol*innen in meinem Alter lernen Englisch und wollen so schnell wie möglich weg"

Die Jugend muss aufwachen und endlich wählen gehen. Zur Europawahl dieses Jahr haben um die 72 Prozent der jungen Pol*innen nicht gewählt. Vielleicht denken sie sich, dass sie gegen die ältere Generation sowieso nichts ausrichten können. Oder sie orientieren sich ins Ausland. Viele Pol*innen in meinem Alter lernen Englisch und wollen so schnell wie möglich weg aus ihrem Land. Auch ich lebe nicht in Polen, weil meine Eltern nach der Wende nach Deutschland gezogen sind.

Journalist*innen wurden ausgetauscht und die PiS hat viel Einfluss auf Polens wichtigsten Fernsehsender genommen.

Nach dem Regierungswechsel vor vier Jahren galt den Medien und der Kunst in Polen der erste Angriff. Journalist*innen wurden ausgetauscht und die PiS hat viel Einfluss auf Polens wichtigsten Fernsehsender genommen. In Berlin wurden zwei Direktorinnen des Polnischen Instituts, einer staatlichen Kulturorganisation, gefeuert, weil sie zu liberal dachten. Dass sich eine Regierung so einmischt, sagt viel aus über die Kunstfreiheit, die sie erlauben will. Aber gerade die zeitgenössische polnische Kunst ist international vernetzt. Die Regierungspartei kann versuchen, an ihrem Fundament zu nagen, aber sie wird es nicht schaffen. Die alten Menschen, die jetzt wählen, die werden die nächste PiS-Amtszeit gerade noch miterleben. Aber die Konsequenzen von dem, was jetzt passiert, werden die Jüngeren tragen.

Bartosz Schirmer, 24, macht in Warschau ein Praktikum bei der Deutsch-Polnischen Industrie- und Handelskammer: "Jede*r weiß, dass die PiS-Partei gewinnen wird"

Hier in Warschau ist die Parlamentswahl kein großes Thema. Ich sehe kaum Plakate, zur Europawahl waren es mehr. Fünf Parteien stehen zur Wahl, aber jede*r weiß, dass die PiS-Partei gewinnen wird. Das liegt daran, dass die Konkurrenz schwach ist. Die PiS genießt eine sehr hohe Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung. Ich finde, dass im Wahlkampf übertrieben wird, wenn es um die Nationalkonservativen geht. Vor vier Jahren hat die liberale Zeitung Gazeta Wyborcza nach dem PiS-Erfolg die Titelseite schwarz bedruckt, mit der Aufschrift "Die Demokratie ist gestorben". Und vier Jahre später sage ich: Die Demokratie lebt immer noch.

Ich wünsche mir, dass nach der Wahl auch die Löhne steigen.

Die Linke (Lewica; Koalition aus der Demokratischen Linken, Frühling und Zusammen) wird in Polen immer stärker, aber sie bringt keine eigenen Ideen. Mich stört, dass man in Polen sehr lange auf einen Besuch bei Ärzt*innen warten muss. Vor allem gibt es zu wenig Fachärzt*innen, die medizinische Versorgung muss dringend besser werden. Über dieses Problem diskutieren momentan alle politischen Parteien und ich hoffe sehr, dass die Situation nach der Wahl besser ist. In meinen Augen hat sich die Wirtschaft in Polen in den letzten Jahren sehr gut entwickelt. Das ist natürlich nicht der alleinige Verdienst der PiS, aber sie haben die Situation sehr gut gestaltet. Die Arbeitslosigkeit ist niedrig und die Inflation auch. Ich wünsche mir, dass nach der Wahl auch die Löhne steigen.

Bartosz Gierszewski, 30, ist Bauingenieur in Berlin: "Viele Menschen in Polen sind zu arm, um beim Heizen an das Klima zu denken"

Wenn ich im Winter durch Danzig laufe, dann kriege ich Angst um meine Gesundheit. Viele Menschen heizen mit Plastikmüll. Dann steigt gelber Smog aus den Schornsteinen und die Luft riecht nach verbranntem Plastik. Andere verbrennen Kohle, auch das ist schlecht für die Umwelt. Manche Parteien diskutieren zur Parlamentswahl über einen Kohleausstieg. Die liberal-konservative Koalicja Obywatelska (Bürgerkoalition aus Bürgerplattform, Moderne, Grünen und Initiative Polen) ist für polnische Verhältnisse mutig, sie fordern, dass schon 2030 keine Kohle mehr verwendet werden soll, um Häuser zu beheizen. Die nationalkonservative PiS-Partei (Prawo i Sprawiedliwość; Recht und Gerechtigkeit) ist aber leider an der Macht — und sie sagen, dass es noch in 200 Jahren Kohleenergie geben wird.

Für die Wahl habe ich eine Hoffnung: dass die PiS-Partei nicht die absolute Mehrheit schafft, sondern mit einer starken Opposition arbeiten muss.

Ich finde, man sollte nicht vergessen, dass viele Menschen in Polen einfach zu arm sind, um beim Heizen an das Klima zu denken. Die Rente meiner Tante beträgt zum Beispiel nur 1200 Złoty, das sind 300 Euro. Und auch bei diesem Gehalt kostet ein Einkauf im Supermarkt so viel wie in Deutschland. Jetzt wirbt PiS mit einer starken Anhebung des Mindestlohns. Ich finde die Idee vom Mindestlohn super. Wenn das Projekt durchdacht ist und keine kiełbasa wyborcza (Wahlversprechen), dann nur zu. Ich glaube aber, dass die Leute geködert werden. Der Mindestlohn soll schon in drei Jahren so hoch sein, wie ein durchschnittliches Akademiker*innengehalt jetzt ist. Wer soll das bezahlen? Für die Wahl habe ich eine Hoffnung: dass die PiS-Partei nicht die absolute Mehrheit schafft, sondern mit einer starken Opposition arbeiten muss.