Zusammen mit einem ehemaligen Patienten und Mörder einen Langstreckenflug absolvieren, zu Gast auf einem Kreuzfahrtschiff, auf dem Kinder spurlos verschwinden oder sich in den Hochsicherheitstrakt einer Psychiatrie einweisen lassen, um dem Mörder des eigenen Sohnes nahe zu sein? Sebastian Fitzek spielt mit den Ängsten der Menschen in seinen Büchern und erzählt ihre Horrorszenarien. Der Berliner Autor weiß, was den Menschen Angst macht und wie man sie damit fesselt.

Er studierte ein halbes Semester Tiermedizin, dann Jura bis zum ersten Staatsexamen und promovierte im Urheberrecht. Fitzek arbeitete lange beim Radio und schrieb ein Buch über die Bedeutung von Namen. Die Idee für seinen ersten Thriller Die Therapie kam ihm im Wartezimmer des Orthopäden. Nach unzähligen Absagen und Überarbeitungen erschien sein erster Thriller 2006.  Mit Krimis wie Passagier 23 und Der Insasse führte er wochenlang die Bestsellerlisten an. Mittlerweile hat er mehr als zehn Millionen Bücher verkauft. Seine Psychothriller werden auf der ganzen Welt gelesen.

ze.tt: Herr Fitzek, ich bin ein absoluter Angsthase, habe aber Passagier 23 auf einem Kreuzfahrtschiff und Flugangst 7A im Flugzeug gelesen. Lesen vor allem feige Menschen Ihre Bücher?

Sebastian Fitzek: Ich denke schon, ich bin ja auch ein Weichei (lacht). In Thrillern können wir unsere Ängste in einem angstfreien Ambiente bearbeiten. Wir gehen schließlich im wirklichen Leben nicht davon aus, dass das Schiff untergeht oder das Flugzeug abstürzt. Aber wir haben nun mal diese Ängste und kommen immer wieder in Situationen, in denen wir sie nicht mehr verdrängen können und uns ihnen stellen müssen. Die Menschen haben unterschiedliche Arten, ihren Ängsten zu begegnen. Die einen werden Kriegsberichterstatter*innen, andere springen aus dem Flugzeug mit einem Fallschirm. Wieder andere suchen eine Nahtoderfahrung in der Achterbahn. Am Ende werden, wenn man es überlebt hat, Endorphine ausgeschüttet. Genauso ist der Thriller eine Nahtoderfahrung. Hat man das Buch überstanden, kann man seine Ängste im Bücherregal einsortieren. Das ist ein guter Weg für Weicheier wie mich, um die Ängste greifbarer zu machen.

Wovor hat der Mensch am meisten Angst?

Menschen haben sehr unterschiedliche Ängste, das sieht man allein daran, wie viele Phobien es gibt. Geht es um die realen Ängste, die nicht therapiebedürftig sind, hat die Mehrheit Angst vor dem Tod. Am häufigsten fürchten sich die meisten Menschen jedoch vor Entscheidungen, wenn sie ganz ehrlich sind. Das ist keine Angst, die uns gruseln lässt, aber uns wach hält. Soll ich die Stadt verlassen? Soll ich das Jobangebot annehmen?  Soll ich eine neue Beziehung eingehen? Oder eine bestehende beenden? Wir bangen um kleine wie große Entscheidungen, weil wir alle Angst vor der Zukunft haben. Darum gibt es auch den Satz: Lieber das sichere Elend, als das unsichere Glück. Wir können nicht sagen: Ich probiere mal Plan A aus und wenn das nicht funktioniert, mach ich Plan B – so funktioniert das Leben nicht. Die Angst, falsche Entscheidungen zu treffen, führt häufig dazu, dass wir gar keine Entscheidungen treffen.

Wir bangen um kleine wie große Entscheidungen, weil wir alle Angst vor der Zukunft haben.
Sebastian Fitzek

Wie treffen Sie selbst Entscheidungen?

Indem ich einen guten Verdrängungsmechanismus habe und diesen anwende (lacht). Was ja grundsätzlich ein wichtiger Mechanismus ist. Sonst würden wir uns alle ständig mit unserer Sterblichkeit konfrontieren. Würden wir jeden Tag leben, als wäre es unser letzter, würde das zu unglaublichen Depressionen führen.

Was macht Ihnen Angst?

Ich habe zum Beispiel Angst im Dunkeln. Ich kann mir aber auch gut selbst Angst machen. Ich fürchte mich davor, trotz Umsicht eine Entscheidung mit katastrophalen Folgen für mein Umfeld zu fällen. Meine allergrößte Angst ist jedoch, zu erkennen, das alles, was ich für real erachte, es nicht ist. Ich stelle mir das als den schlimmsten Moment einer psychischen Krankheit vor. Der Moment, in dem man erkennt, dass das Leben nur in seinem Kopf passiert. Das nichts so ist, wie es scheint. Das ist natürlich das Wesen des Psychothrillers, aber manchmal will unser Verstand gewisse Dinge nicht sehen und blendet sie aus. Oder wir nehmen Geschehnisse anders wahr, als sie passiert sind. Etwas, das auf den ersten Blick glasklar zu sein scheint, ist auf den zweiten Blick ganz anders. Das fasziniert mich. So sehen Zeug*innen manchmal Vorfälle, die ganz anders passiert sind. Ich bin Jurist, vielleicht kommt mein Zweifeln daher. Ich denke immer: Was ist, wenn nichts so ist, wie wir denken? Darum lasse ich die Protagonist*innen in meinen Büchern viele meiner Ängste durchspielen.

Woher willst du wissen, dass du nicht gerade träumst und aufwachst und eigentlich jemand ganz anderes bist?
Sebastian Fitzeks Kinder

Wird man beim Schreiben nicht irgendwann paranoid?

Ich kann die Zweifel zum Glück ganz gut abstellen. Aber sogar meine Kinder beherrschen diese Gedankenspiele und fragen mich: Woher willst du wissen, dass du nicht gerade träumst und aufwachst und eigentlich jemand ganz anderes bist? Genauso wie alle anderen Menschen verdränge ich auch meine Ängste. Die permanente Beschäftigung mit dem Tod führt so nicht dazu, dass ich die Tage zähle, die mir statistisch gesehen noch zur Verfügung stehen.

Warum konfrontieren sich Menschen freiwillig mit Büchern voller Gewalt?

Als ich bei einer Lesung in Wien war, wurde mir die Standardfrage gestellt: 'Muss man nicht selbst einen an der Waffel haben, um sowas zu schreiben?' Meine Antwort war bis dato immer: 'Wie groß ist Ihr Schaden, sie zahlen sogar Geld dafür, um es lesen zu dürfen?' Dann hat sich eine Psychologin zu Wort gemeldet und meinte, sie müsse sowohl die Leser*innen als auch die Autor*innen von Thrillern in Schutz nehmen. Sie betonte, dass der Thriller eine wichtige Ventilfunktion habe. Irgendwann haben wir genug Schreckensmeldungen gelesen und genug von ungelösten Konflikten und von Schicksalsschlägen gehört. Die Psychologin meinte, wir sollten uns eher Gedanken um die Menschen machen, die sowas nicht lesen.

Serienmörder*innen werden Ihre Bücher also nicht lesen?

Eindeutig nicht! Psychopath*innen im klassischen Sinn empfinden keine Empathie und sehen keinen Sinn in meinen Büchern. Die Emotion dahinter versteht diese*r ja nicht. Die wenigsten Leser*innen drücken auf jeder Seite in einem Thriller die Daumen und hoffen, dass auf der nächsten Seite alle sterben. Ganz im Gegenteil: Man erlebt eine emotionale Achterbahnfahrt. Die Schilderung von Gewalt ist, wenn man es mal prozentual ausdrücken würde, in der Regel sehr vernachlässigenswert. Die Gewalt bringt den Stein nur ins Rollen. Dann beobachten wir, welche Auswirkungen sie hat und was sie für die Opfer bedeutet. Darum drehen sich meine Geschichten auch immer um die Opfer: Wie sie handeln und reagieren, das interessiert mich – und nicht die Täter*innen.

Sebastian Fitzek trinkt gern mal ein Gin Tonic und schreibt am liebsten in schöner Umgebung, weil ihn das am meisten gruselt.  © Foto ze.tt: Eva Reisinger/​ Bearbeitung Elif Kücük

Warum braucht es dazu Gewalt?

Man muss immer vorsichtig sein, wenn man Gewalt beschreibt. Das ist ganz wichtig. Pauschal Regeln dafür aufzustellen, ergibt meiner Meinung nach aber keinen Sinn. Gewalt gebrauche ich nur, wenn die Thematik es erfordert. Je nachdem entscheide ich, wie explizit oder implizit die Gewalt in meinen Thrillern beschrieben werden muss. Bringt man Gewalt in eine Handlung, zeigt sich oft das wahre Ich, der Kern von Menschen.

Wie das?

Welches Geistes Kinder Menschen sind, zeigt sich oft erst in Momenten der Gewalt. Wo sie aktiv handeln müssen, um zum Beispiel Zivilcourage zu zeigen. Ich kann hier stundenlang Vorträge darüber halten, wie wichtig Zivilcourage ist. Erst wenn etwas passiert und ich in der U-Bahn jemandem helfen sollte, wird sich zeigen, wie ich mich wirklich verhalte.

Man muss immer vorsichtig sein, wenn man Gewalt beschreibt. Das ist ganz wichtig.
Sebastian Fitzek

Was fasziniert uns an den Abgründen des Menschen?

Die Vielschichtigkeit. Es gibt keine einfachen Antworten auf komplexe Probleme und Taten. Einen Anteil am Interesse haben auch Medien, die uns mit Fragezeichen zurücklassen. Wir nehmen dramatische Fälle, wie jüngst den Fall der 15-jährigen Rebecca, wahr, die leider immer noch in Berlin verschwunden ist. Manche Medien haben das als True-Crime-Soap ausgeschlachtet. Wir Menschen wollen wissen, was ist da passiert? Wir wollen das Unerklärliche begreifen. Das ist bei einem Attentat genauso. Gerade in der Kurzweiligkeit der sozialen Medien ist das nicht darstellbar. In einem 600-Seiten-Roman schon eher. Darin kann man auf eine Reise gehen und in der Fiktion die Motivation hinter einer solchen Tat verstehen. Es muss kein Happy End haben, sondern der Mensch will wissen, warum jemand so handelt.

Wie realistisch sind Thriller?

Meistens gar nicht und das ist auch gut so. In der Realität bleibt vieles unerklärbar. Gerade Serientäter*innen sind durch Puls und Trieb gesteuert. Sie werden getriggert von Dingen, die wir nicht beeinflussen  und auch nicht verstehen können. Das sind aber keine tauglichen Romanfiguren, weil eine Geschichte mit ihnen nur Grausamkeiten zeigen würde. Aber wir leben in einer Welt, die sehr zufällig und skurril ist. Die Realität ist oftmals auch unglaubwürdig. Durch Verbrechen wie das von Fritzl hat sich gezeigt, dass Menschen auch über Jahrzehnte lang verschwinden können und wieder auftauchen. Lange ging man davon aus, dass das unmöglich ist. Oder Flugzeuge, die abstürzen und niemals gefunden werden. Der Mensch sucht zu alledem Erklärungen. Manche Dinge sind unerklärbar, aber durch den Thriller lassen sie sich zumindestens bearbeiten, einordnen und die Ängste im Bücherregal einsortieren.

Unsere Autorin traf Sebastian Fitzek in Berlin im Rahmen der Präsentation des neuen Buches Auris von Vincent Kliesch. Die Idee zu dem Buch stammt von Sebastian Fitzek. Auris erzählt von einem Mann, der anhand von Stimmen und Geräuschen ein Profil von Menschen erstellt.