Das Mainevent von Wrestlemania ist das höchste Ziel, das man im Wrestling erreichen kann. Das Mainevent, das ist der letzte Kampf des Abends, der Kampf, den die meisten Augen sehen und für den die beste Gage bezahlt wird. Wrestlemania, das ist so etwas wie der Superbowl der World Wrestling Entertainment Inc. (WWE) und die größte Wrestling-Show des Jahres. Beim Mainevent der diesjährigen Wrestlemania werden keine The Rocks oder John Cenas stehen, sondern Becky Lynch, Charlotte Flair und Ronda Rousey.

Letztere kann man kennen, ohne Wrestling zu verfolgen. Als Mixed-Martial-Art-Kämpferin hat sie es zwischen 2012 und 2015 bereits in die Hauptkämpfe von UFC-Veranstaltungen (Ultimate Fighting Championship) geschafft und diesem Sport zu mehr Mainstream-Aufmerksamkeit verholfen als irgendein Mann vor ihr. Nun gehört sie zu den drei ersten Frauen, die den Hauptkampf einer Wrestlemania bestreiten werden. Die WWE wird nie müde, solche geschichtsträchtigen Ereignisse fleißig zu vermarkten und lässt ihre Angestellten viele Freudentränen in die Kameras weinen. Nur: Die tatsächlichen Herausforderungen aufarbeiten, die diesen Moment so geschichtsträchtig machen, das kann die WWE nicht. Denn dann müsste sie zugeben, dass sie selbst der größte Teil des Problems war.

Divas

Wrestling-Matches sind Schein-Wettkämpfe. Bis etwa 2010 waren die Auftritte der Frauen in der WWE aber sogar nur Schein-Wrestling-Matches, denn Bikini-Contests und Unterwäsche-Kissenschlachten sind vergleichbarer mit den Sexy Sport Clips, die zu jener Zeit nach Wrestling-Übertragungen im DSF zu sehen waren. Als dieser Kurs endgültig unzeitgemäß wurde, benannte man die Women’s Division in die Diva’s Division um und für einige Jahre bekam kaum ein Auftritt weiblicher Kontrahentinnen mehr als drei Minuten Sendezeit. Der Championship-Gürtel der Frauen war in dieser Zeit pink und der Form eines Schmetterlings nachempfunden.

Die Journalistin Heather Bandenburg macht das Argument, dass Frauen-Wrestling per se feministisch sei, weil es Gender-Normen untergrabe, wenn eine Frau ihren Körper zur Waffe macht. Die WWE hat dagegen lange an der Vorstellung festgehalten, dass Frauenkörper nicht mit Gewalt in Zusammenhang gebracht werden dürfen, nicht einmal mit gespielter Gewalt und nicht einmal ohne Beteiligung von Männern. Die Lösung: Schein-Wrestling-Matches, die statt einer gewaltsamen eine sexualisierte Körperlichkeit präsentierten. Frauen, die aussehen, als seien sie echte Athletinnen, könnten ja dem geifernden Blick und dem Überlegenheitsgefühl des angenommenen männlichen Zuschauers nicht mehr gefallen.

Eine Frau, die aussieht wie eine echte Athletin, ist die Berlinerin Alpha Female. Ihre Geschichte ist ein Beispiel für einen Kampf, von dem die WWE nicht erzählt.

Alpha Female

Jazzy "Alpha Female" Gabert ist die einzige deutsche Frau, die mit Wrestling ihren Lebensunterhalt bestreitet. Ihre Karriere begann schon im Jahr 2001. "Frauen waren damals eher eye candy und oft auch gar nicht willkommen", sagt sie. "Wenn überhaupt, gab es einen Frauenkampf pro Show. Deshalb war die Konkurrenz sehr groß. Es gab zu wenig Arbeit für all die guten Wrestlerinnen. Inzwischen bekomme ich oft mehrere Anfragen für den selben Tag und gebe die an andere Frauen weiter." Bevor Jazzy zu Alpha Female wurde, erfuhr sie, wie man sich Frauen im männlich dominierten Wrestling-Business vorstellt: "Meine Trainer haben gesagt, du bist ja noch nicht so gut, also musst du auf sexy machen. Ich bin dann zum Ring getanzt in kurzen Hosen, aber diese Rolle hat mich total unglücklich gemacht."

Mich hat es nie angemacht, sexy Mädels im Ring zu sehen. Ich wollte immer eine starke Frau sehen. Deshalb wollte ich dann selbst eine sein und ein Vorbild für andere Frauen.
Jazzy Gabert

Der heutige Look erinnert an Brigitte Nielsen in Rocky IV. Alpha Female hat kurzes, in Richtung Hallendecke stehendes Haar, einen muskulösen Körper und einen grimmigen Gesichtsausdruck, wenn sie vors Publikum tritt. Der Charakter ist eine Antithese zum eye candy. "Ich hatte ein Tryout für eine amerikanische Firma, das nicht sonderlich gut lief. Danach hat man im Backstage zu mir gesagt: ‚Denkst du, du bist so sexy wie unsere Mädels hier?‘ Das hat mich sehr verletzt. Ich bin nun mal kein Supermodel. Also habe ich entschieden: Wenn ich nicht das Barbie-Mädchen sein kann, bin ich eben das böse Mädchen." Alpha Female soll niemand sein, der in altmodische Denkmuster passt oder von Männern gerne angeguckt wird. "Die Leute sollen Emotionen zeigen. Das ist mein Job als Wrestlerin. Und wenn ich es am besten schaffe, dass sie Angst und Schrecken zeigen, dann mache ich das", erklärt sie.

"Mich hat es nie angemacht, sexy Mädels im Ring zu sehen. Ich wollte immer eine starke Frau sehen. Deshalb wollte ich dann selbst eine sein und ein Vorbild für andere Frauen." Jazzys eigene Vorbilder waren in ihrer Kindheit männliche Wrestler – mangels Alternativen, die zum Selbstbild passten. "2000 habe ich dann bei einer deutschen Independent-Show zwei Frauen gesehen, die gekämpft haben", erzählt sie. "Erst da wurde mir bewusst, dass ich auch in den Ring steigen kann, und erst als ich das gemacht habe, wurde mir bewusst, welche Rolle Frauen damals im Wrestling-Business gespielt haben, nämlich eigentlich gar keine."

Lynch, Flair und Rousey stehen bei Wrestlemania nicht nur im Hauptkampf, damit das Unternehmen gut aussieht. Sie erzählen im Ring, am Mikrofon und auf Twitter die spannendste Geschichte, die das WWE-Publikum seit Monaten gesehen hat. Wer Wrestling als Macho-Sport abgespeichert hat, darf deshalb am 7. April durchaus einschalten. Wenn dann das dramatische Trailer-Video eingespielt wird und die Kommentator*innen die Geschichtsträchtigkeit dieses Ereignisses in die Headsets brüllen, sollte man aber nicht vergessen, dass es vor allem die Frauen im Ring sind, die das möglich gemacht haben, und viele Frauen wie Alpha Female, die es bei Independent-Shows vorbereitet haben.

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