25 Quadratmeter hat mein WG-Zimmer. Brauche ich wirklich so viel Platz?

Ich brauchte vor allem ein Dach über dem Kopf, als ich vor fünf Jahren einzog. Das Semester hatte bereits begonnen und ich smalltalkte mich durch zahllose Massen-Castings. Viel Auswahl hatte ich im hart umkämpften Wohnungsmarkt in Berlin nicht – als Bewerber*in ist man froh, wenn man überhaupt eine Antwort, geschweige denn eine Zusage bekommt.

Dass es am Ende sogar ein Zimmer in einer tollen WG in Kreuzberg geworden ist, kostet mich 400 Euro jeden Monat. Vor einem Umzug graut es mir: Wird es teurer? Es sieht so aus. Eine Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln zeigte kürzlich: In Städten stiegen die Mieten so sehr an, dass sich etwa ein Viertel aller Menschen weniger Wohnfläche leisten können als noch vor sechs Jahren. In Berlin sind die Mieten sogar um 26 Prozent gestiegen.

Das habe ich bei meiner Suche selbst gespürt. Hinzukommt: Im gleichen Zeitraum ist die Hauptstadt um knapp 250.000 Menschen gewachsen. Mittlerweile sind es 3,61 Millionen, die hier irgendwo unterkommen müssen.

Der Wohnraum wird immer knapper. Das liegt auf der Hand – oder doch nicht?

Die unbezahlbare Stadt

Van Bo Le-Mentzel, der in Berlin lebt und arbeitet, sieht das anders: "Wir haben nicht zu wenig Wohnraum, wir haben zu wenig Phantasie", sagt er. Seit Jahren beschäftigt sich der Architekt mit der Frage, wie wir in der Stadt gut und bezahlbar wohnen können.

Seit Jahren beobachtet er einen Wachstumsdruck bei vielen Menschen: "Die meisten können sich nicht vorstellen, in einer kleineren Wohnung glücklich zu sein. Sie ziehen alle um." Und vergrößern sich. "Viele haben das Gefühl, dass sie mit zwanzig, dreißig oder vierzig Quadratmetern nicht klar kommen. Wenn man sich Statistiken anschaut: Nach dem zweien Weltkrieg standen zwanzig Quadratmeter pro Kopf zur Verfügung. Heute müssen es sechzig sein."

Es gibt durchaus Wohnraum, er wird nur nicht gut genutzt, sagt Le-Mentzel. Vielmehr sei ein regelrechter "Wohnraumkonsum" entstanden, wie er ihn nennt. Und dieser löst einen Teufelskreis aus: Menschen wollen mehr Raum, müssen also mehr arbeiten. Je mehr Arbeit, desto weniger Zeit für Persönliches, um den Wohnraum zu nutzen.

Glück steigt also nicht mit der Zimmergröße. Zudem ist die Kehrseite des kapitalistischem Hamsterrads: Nur wer viel verdient, kann sich Wohnraum im Zentrum leisten. Alle anderen werden an den Rand verdrängt – unabhängig davon, wie groß sie wohnen wollen.

Gegenmodelle zur Gentrifizierung

Le-Mentzel will das nicht akzeptieren, er will sich nicht "weg-gentrifizieren" lassen. Vor dreieinhalb Jahren ist er selbst fast dem "Wohnraumkonsum" verfallen, als seine Frau schwanger wurde. "Wir haben uns zum ersten Mal so richtig gestritten. Natürlich haben wir uns auch über das Kind gefreut, aber plötzlich kamen die Szenarien in Kopf: Wie geht das Leben weiter? Wir wohnen in einer Zweiraumwohnung – müssen wir umziehen? Muss ich jetzt mehr arbeiten?"

Er  entscheidet gegen die Spirale, bleibt in der Wohnung – und erarbeitet Gegenmodelle. Er beschäftigt sich mit der tiny-house-Bewegung, gründet die tinyhouse University. Jeden Montag trifft er sich mit Interessierten in Berlin, um Ideen auszutauschen.

Er entwickelt seine Vision von der 100-Euro-Wohnung: Was, wenn der Grundriss einer Wohnung so klein ist, dass man nur 100 Euro Miete zahlen muss? Warm, Internet inklusive. Bei den durchschnittlichen Quadratmeterpreisen dürfte die Wohnung nicht mehr als 6,4 Quadratmeter Grundfläche haben. Das ist mit einem Bulli vergleichbar.

Leben auf sechs Quadratmetern

Er begann Skizzen einer Wohnung zu zeichnen, die die Grundbedürfnisse einer Person abdecken: Man kann dort schlafen, arbeiten, duschen, kochen. Um die geringe Grundfläche auszugleichen, geht die Wohnung in die Höhe: 3,60 Meter schafft Platz für Wohnen auf verschiedenen Ebenen. Über dem Bad ist ein Bereich, der entweder als Büro oder zum Schlafen genutzt werden kann. Stehen kann man dort allerdings nicht.

Die Wohnung ist so konzipiert, dass man sie mit anderen Wohnungen verbinden kann – und so mit einer Familie oder eine WG dort zu leben. Wem 6,4 Quadratmeter zu klein sind, mietet sich zwei oder drei.

Man könnte die Wohnungen in bestehende Häuser bauen oder in neue. Auf einer Etage könnten 24 Menschen wohnen (mit Gemeinschaftsbereich auf jeder Etage), in einem Haus mit fünf Etagen 100.

Leben ohne Gebrauchsanleitung

Manche würden Le-Mentzels Idee als "neoliberal" bezeichnen, sagt er. Dabei fordert er nicht, dass jeder Mensch in eine kleine Wohnung ziehen müsse. Es geht ihm nicht um einen hippen, minimalistischen Lifestyle – sondern um eine Abkehr vom kapitalistischen System: "Jeder soll selbst entscheiden können, wie groß oder klein er wohnt. Aber die Möglichkeit, klein zu leben, gibt’s nicht, weil die kleinsten Wohnungen so dreißig Quadratmeter sind. Und dreißig Quadratmeter mitten in der Stadt heißt mindestens 300 bis 600 Euro pro Monat."

Es geht ihm aber auch um Selbstermächtigung. Seine 100-Euro-Wohnung kann individuell eingerichtet werden, nur die Wasserleitungen und damit der Platz für das Mini-Bad sind festgelegt. Die Menschen müssten selbst kreativ werden, wenn der Grundriss nicht vorgibt, wo Bad oder Schlafzimmer sind.

"Sobald uns alles vorgegeben ist, fehlt uns total die Phantasie. Wir haben nie gelernt, unsere Wohnung, unser Leben einzurichten", sagt er.  

Noch ist Le-Mentzels Wohnung eine Vision, doch sie nimmt Gestalt an: Ein Modell der 100-Euro-Wohnung hat er mithilfe eines syrischen Tischlers gebaut und am 9. November vor dem Bauhaus Archiv in Berlin vorgestellt. Der Grundriss ist so klein, dass die ganze Wohnung auf einen Anhänger passt. Le-Mentzels hat sogar Interessierte gefunden, die testweise darin wohnen. Sie sollen testen, wie sie sich fühlen, wo es noch Nachbesserungsbedarf gibt.

Le-Mentzel selbst lebt immer noch mit seiner Frau in seiner Zweiraumwohnung, mittlerweile mit zwei Kindern. Wenn es seine 100-Euro-Wohnung bereits geben würde, würde er vier davon mieten, sagt er. Er träumt davon, dass wir irgendwann gar keine Miete mehr zahlen müssen, da Erde seiner Meinung nach niemandem gehöre. "Bis dahin ist es ein weiter Schritt, deswegen fange ich klein an und sage: Vielleicht wäre es ja wenigstens möglich, dass man so wenig zahlt, dass man es kaum spürt."