Bei Cornelia klingelt's. Vor der Tür der alleinerziehenden Mutter wartet kein*e Vertreter*in für Haushaltsgeräte, sondern ein Koffer voll Geld. Knapp 30.000 Euro spendiert RTL Cornelias Familie, die gesamten Jahresbezüge ihres Arbeitslosengelds II. Als Selbstständige soll sich Cornelia von heute auf morgen aus Armut und Arbeitslosigkeit befreien.

In der RTL-Show Zahltag wird diese angebliche Wohltat als Chance ihres Lebens bezeichnet. Gleichzeitig ist es der TV-Sender, der im Kampf für gute Quoten die Chance verpasst, arbeitslosen Menschen wirklich zu helfen. Nicht nur, weil die Teilnehmer*innen vorgeführt werden, sondern auch weil die Idee selbst der falsche Weg zu einer nachhaltigen Bekämpfung von Arbeitslosigkeit ist.

Mit einer Menge Geld ist niemandem geholfen

Seit zwei Wochen ist Zahltag Teil des Dienstagabendprogramms. Und bereits in der Pilotfolge mit Protagonistin Cornelia wird klar, wie unsinnig das Konzept ist.

Kandidatin Cornelia beschließt, mit der Finanzspritze eine eigene Imbissbude zu eröffnen. Doch leider fehlt es ihr an Geschäftssinn und Organisationsfähigkeit, die eigenen Ideen umzusetzen. Zwar stellt RTL ihr den Gründercoach Felix Thönnessen zur Seite. Doch der bringt der Familie erst mal bei einem gemeinsamen Ruderausflug Teamwork bei. Bei den großen Entscheidungen jedoch – etwa dem Kauf eines Imbisswagens oder bei der Suche nach einem geeigneten Standort – bleibt Cornelia auf sich alleine gestellt. Dass sie dabei viele Fehler macht, überrascht wenig. Die würde wohl auch jede*r andere ohne betriebswirtschaftliche Kenntnisse begehen.

Heute lässt sich nachlesen: RTLs vermeintliche Wohltat hat Cornelia und Familie nicht geholfen, die Situation nachhaltig zum Positiven zu verändern. Auf ihrer Facebookseite berichtet die Familie, dass der Imbiss wegen einer erneuten Stellplatzsuche aktuell wieder geschlossen ist.

Arbeitslosigkeit lässt sich nicht von heute auf morgen überwinden

"Der gute Wille reicht nicht aus, um sich selbstständig zu machen", sagt Psychotherapeutin Karin Kutz. Dass Dinge schiefgehen, sei auch kein Zeichen von Charakterschwäche oder Unfähigkeit. "Durch lange Arbeitslosigkeit verlieren Menschen eine geordnete Struktur in ihrem Tagesablauf", sagt Kutz.

Langfristige Folgen sind Resignation und Apathie, wie wissenschaftliche Studien belegen. Eine der bekanntesten davon ist 1933 unter dem Titel Die Arbeitslosen von Marienthalerschienen. Darin untersuchten die drei österreichischen Wissenschaftler*innen Marie Jahoda, Paul Felix Lazarsfeld und Hans Zeisel die Folgen von Langzeitarbeitslosigkeit in dem kleinen österreichischen Dorf Marienthal. Dort war nach Schließung einer Textilfabrik die Mehrheit der Bewohner*innen arbeitslos geworden.

In ihrer Untersuchung beobachteten die Forscher*innen vier Typen, mit Arbeitslosigkeit umzugehen: die ungebrochene Haltung, gekennzeichnet von Optimismus und großer Lebensaktivität, die resignierte sowie verzweifelte Haltung, gekennzeichnet von Hoffnungslosigkeit bis hin zur Depression und zuletzt die apathische Haltung. Hier sind die betreffenden Menschen nicht nur hoffnungslos, sondern stehen sich und ihrer Umwelt gleichgültig gegenüber. Sie vernachlässigen ihr Zuhause und ihr persönliches Umfeld und nehmen nicht mehr am gesellschaftlichen Leben teil. Während nur 16 Prozent der Arbeitslosen in der Studie eine ungebrochene Haltung aufwiesen, zeigte sich ein Viertel apathisch. Ein Zustand, der sich nicht von heute auf morgen überwinden lässt.

Im Verlauf der Sendung wird deutlich, dass die Familie nicht nur mit Geldsorgen zu kämpfen hat. Die Wohnung wirkt unaufgeräumt, der 15-jährige Sohn Kai fühlt sich vernachlässigt. Cornelias beiden älteste Söhne Benni (20) und Jörn (27) sind ohne Ausbildung und Job. "Oft erkennen die Personen nicht die Vielfältigkeit ihrer Probleme", sagt Kutz. Doch statt die Situation zu analysieren und entsprechende Unterstützung zu bieten, hält RTL bei familiären Konflikten und Rückschlägen lieber ungeniert mit der Kamera auf die Familie.

Trotzdem ist Zahltag durchaus lehrreich

Als Zuschauer*in mag man sich im ersten Augenblick darüber aufregen, wie RTL seine Teilnehmer*innen vorführt. Doch in gewisser Weise ist Zahltag schon fast lehrreich. So zeigt das selbst ernannte Sozialexperiment in seiner undifferenzierten Herangehensweise, dass Arbeitslosigkeit neben Geldmangel vor allem eine psychische Belastung ist, was offenbar vielen Menschen nicht bewusst ist. Wenn wir arbeitslosen Menschen wirklich helfen wollen, dann reicht es nicht, ihnen ein wenig Geld in die Hand zu drücken und zu hoffen, dass der Rest von alleine funktioniert.

Betroffene brauchen professionelle Hilfe, um ihr Leben wieder selbst in die Hand nehmen zu können, wie Karin Kutz erklärt: "In vielen Fällen braucht es einen Sozialpädagogen, der auf die Probleme der Menschen eingeht und mit ihnen nach Lösungen sucht." Angefangen bei familiären Konflikten bis hin zur Ursachenforschung für die Joblosigkeit. Denn wer mit 27 Jahren weder Job noch Ausbildung hat und keinen Ehrgeiz zeigt, sein Leben zu verändern, dem*r ist nicht mit einem Imbisswagen geholfen. Aber – auch das zeigen die Familien bei RTL deutlich – diese Hilfe wird von Jobcentern ebenso wenig geboten. Sonst wäre die Familie vermutlich nicht seit vielen Jahren in ihrer aussichtslosen Situation.

Wenn wir also zukünftig über Arbeitslosigkeit und deren Bekämpfung sprechen, sollten wir das Problem differenzierter als RTL betrachten. Statt Sanktionen zu fordern, sollten wir arbeitslosen Menschen professionelle Unterstützung bieten, um ihr Leben wieder selbstbestimmt führen zu können. Das ist jedoch die Aufgabe der Jobcenter und nicht von zweifelhaften TV-Formaten.