"Leute, ich bin 30, behindert und die besten Kerle sind vergeben – ich wüsste nicht, wo ich noch einen coolen Mann treffen soll! Übrig geblieben sind doch nur die Vollidioten!" Ja, so was habe ich schon zu meinen Freund*innen gesagt. Dabei senkte ich meine Stimme und blickte verstohlen nach links und rechts, als dürfte mich niemand hören. Aber alle lachten und nickten mit den Köpfen.

Mir sind Ängste und Unsicherheiten in Sachen Beziehung nicht unbekannt. Abgesehen von den Dingen, die wir alle kennen, habe ich viel zu oft zu hören und zu spüren bekommen, dass eine Beziehung mit einer "Frau wie mir" nicht leicht sei, denn dann müsse man immer auf so vieles achten. Je mehr Lebenserfahrung und Selbstliebe ich habe, desto mehr komme ich zu der Erkenntnis, dass meine Muskelerkrankung nur eine minimale Rolle bei meiner Partnersuche gespielt hat. Meine Behinderung spielt eine Rolle, aber sie ist nicht dermaßen bedeutend, wie manche Leute es behaupten. Die Behinderung ist meiner Meinung nach lediglich eine Ausrede, die es leicht macht, einfach mal alles darauf abzuwälzen und die Schuld darin zu suchen. Man sei schließlich zu behindert, für alles. Dabei liegt die Ursache der Bindungsschwierigkeiten ganz woanders.

Zurechtkommen mit der Angst

Partner*innensuche ist für jeden Single, ob mit oder ohne Behinderung, in jedem Alter, nichts anderes als das Zurechtkommen mit der Angst, womöglich allein unter dem Tannenbaum zu sitzen oder den Eltern schon wieder erklären zu müssen, dass es noch immer keine*n potenzielle*n Vater*Mutter der zukünftigen Enkelkinder gibt. Und dann ist auch noch Valentinstag, an dem man doch irgendwie nicht allein sein möchte.Einsamkeit kann für alle Menschen, mit und ohne Behinderung, mit jeder Hautfarbe, mit jedem Bildungsstand zermürbend sein. Mein Marktwert sei nicht besonders hoch, meinten einige. "Frauen wie du", sagten sie dann, "haben es besonders schwer, einen Mann zu finden." Schnell fügten sie hinzu, dass ich ja nicht schlecht aussehen würde, im Gegenteil. Und, um Gottes Willen, doof wäre ich ja auch nicht – was ich schließlich alles erreicht hätte! Aber ich könne ja keine Radtour machen und auch keinen Tango tanzen, das müsse ich ja schon zugeben, oder? Ich nickte dann meistens, denn dass ich weder Sport machen kann, noch jemals einen Tanzkurs besucht habe, stimmt. Dass mir noch nie ein derart sportliches Pärchen begegnet ist, das ständig Radfahren und Tanzen will, stimmt aber auch.

"Frauen wie du ..." – was soll das eigentlich heißen? Bin ich wirklich nur die Behinderung, nur der Rollstuhl? Bestehe ich tatsächlich nur aus der fehlenden Muskelkraft? Ich selbst sehe mich als Frau, die es verdient hat, geliebt und begehrt zu werden. Der Weg zu dieser Überzeugung war kein Spaziergang am Hafen, viel mehr ein Nachhauseweg im Sturm. Auf diesem Weg habe ich gelernt, nichts wegzureden und die Behinderung nicht kleiner zu machen, als sie ist. Aber da ist auch meine Weiblichkeit, die Anerkennung verdient und die es verdient, gesehen zu werden, gespürt zu werden, gelebt zu werden.

Ich darf sein

Im Januar 2018 lerne ich ihn kennen. Sein Blick ist klar, seine Wortwahl überlegt und humorvoll, sein Geist kennt die Leichtigkeit. Zum ersten Mal in meinem Leben erfahre ich eine Liebesbeziehung, bei der meine Behinderung nicht permanent Thema ist. Eine Beziehung, in der ich meine Werte und meine Liebe ausleben kann. Ich darf sein. Und ich lasse ihn sein. Das tut uns beiden gut.

"Und, und, und?", fragen meine Freund*innen erwartungsvoll. "Wo ist der Haken?! Ist er einsam, hässlich, pervers?" Ich denke nach, aber finde partout keinen Haken und schüttele den Kopf. "Wie jetzt, kein Drama?", fragen sie. "Nein, diesmal kein Drama", antworte ich und strahle. "Er ist wunderbar."

So wunderbar er ist, so erschreckend die Vorurteile. Wenn sie eine Behinderung hat und er nicht, dann hat er wohl ein Helfersyndrom und sie ist dankbar, überhaupt einen Kerl abbekommen zu haben. Oder er ist pervers. Das denken die Leute. Dass es aber in privaten Räumen und Betten am Ende alles ganz anders abläuft, das denkt sich niemand. Dass ein Mann an der Seite einer Frau im Rollstuhl weder der Held, noch besonders stark ist, geht nicht in die Köpfe. Genau wie dass die Frau im Rollstuhl nicht auf Biegen und Brechen zusammen bleiben möchte, sondern dass sie einfach die besondere Begegnung wertschätzt. Eine Begegnung, in der beide mutig, offen und neugierig aufeinander zugegangen sind.

Die Blicke der anderen Menschen

Uns ist bewusst, dass wir ein besonderes Paar sind. Wir fallen auf: Wir sind zwei ausdrucksstarke, auffallende Persönlichkeiten. Die Blicke der anderen Menschen schwanken zwischen Bewunderung, Verwunderung, Staunen und viel Neugierde. Wenn wir über unsere Beziehung ausgefragt werden, haben wir den Impuls, etwas total Krasses erzählen zu müssen, aber uns fällt einfach nichts ein. Die Wahrheit ist recht langweilig: Wir sind ein normales Paar, das viele schöne, intime Momente genießt, in denen die Welt stehen bleibt und wir einander sicher sind. Und naürlich es gibt auch Streitereien, Diskussionen, Unsicherheiten. Wie in jeder anderen Beziehung müssen auch wir Kompromisse eingehen. Manchmal fängt das bei der Fernsehunterhaltung an.

Unsere Beziehung ist keine Held*innentat, sondern eine bewusste Entscheidung füreinander.

Wir reden viel, er besonders am Morgen, ich lieber am Abend, und wir umarmen uns oft. Dabei fahre ich durch seine braunen Locken und er küsst mich sanft auf den Kopf. Unsere Beziehung ist keine Held*innentat, sondern eine bewusste Entscheidung füreinander. Beziehung bedeutet immer Arbeit, ob mit oder ohne Behinderung. Dieser Match veränderte viel in meinem Leben und bestätigt mich in meiner tiefen Überzeugung: Wenn ich lieben kann, kann auch ich geliebt werden.