Früh am Morgen hat sich vor einem Hotel in Mainz eine Schlange gebildet. Vereinzelt finden sich ein paar Männer in Anzug in der Menge. Hauptsächlich gehen aber Frauen in Kostüm und mit strengen Frisuren auf hohen Schuhen über den roten Teppich in das Gebäude. In Taschenspiegeln überprüfen sie ein letztes Mal Schminke und Haar, bevor ihnen ein mit Nummer bedrucktes Bändchen um das Handgelenk gebunden wird. Das Casting beginnt.

Gesucht werden dabei keine Models, Gesangstalente oder Schauspieler*innen – sondern Flugbegleiter*innen. Lufthansa sucht dringend neues Kabinenpersonal: 2800 neue Flugbegleiter*innen will die Airline einstellen, davon 1400 beim Mutterunternehmen, die übrigen bei den Töchtern.

Über das bisherige Online-Verfahren hat die Fluggesellschaft nicht genug Bewerber*innen erreicht, daher hat sie sich etwas Neues ausgedacht: ein eintägiges Casting im Stil von "Germany's Next Topmodel" oder "Deutschland sucht den Superstar".

Wochenlang warb die Airline auf Plakaten und im Netz dafür. Jetzt sind mehr als 750 Bewerber*innen nach Mainz gekommen, um sich vorzustellen. Wer einen Personalausweis dabei hat und mindestens 17 und ein halbes Jahr alt ist, darf an dem Casting teilnehmen. Ohne Anmeldung. Ohne Lebenslauf.

Hippes Casting, klassisches Image

Joana Wollweber ist eine Wartenden vor dem Hotel. Um 9.15 Uhr ist die Mainzerin gekommen, um rechtzeitig zum Beginn um 10 Uhr da zu sein. Gestern hatte sie ihre letzte Abiturprüfung. Fürs Feiern war noch keine Zeit, schließlich wollte sie fit fürs Casting sein. Der Beruf Flugbegleiter*in fasziniert sie, Joana reist gerne und viel. "Es wäre traumhaft, wenn ich mein Hobby mit dem Beruf verbinden könnte und damit auch noch Geld verdiene", sagt sie. Was sie nach dem Abi machen wollte, wusste sie sowieso noch nicht so genau. "Ich denke, jetzt ist der perfekte Zeitpunkt, um für einige Zeit als Flugbegleiterin zu arbeiten." Vorbereiten konnte Joana sich wegen ihrer Abiprüfungen auf das Casting nicht. Ihre Strategie: Gucken, was kommt, spontan das Beste geben und hoffen, dass es reicht.

Joana bekommt ein Bändchen mit der Nummer 44. Die erste Prüfung besteht darin, einen Fragebogen auszufüllen. Darauf werden Grundvoraussetzungen abgefragt.

  • Abgeschlossene Schulausbildung?
  • Zwischen 160 und 195 Zentimeter groß?
  • Sehschärfe zwischen plus und minus fünf Dioptrien?
  • Deutsch- und Englischkenntnisse?
  • Reisepass ohne Einschränkungen?
  • Keine sichtbaren Tattoos oder Piercings?

Ja? Ersten Test bestanden! So hip sich die Lufthansa mit dem Casting-Verfahren auch gibt, sie scheint an ihrem klassischen Image festhalten zu wollen. Von der Airline heißt es: "Als Flugbegleiter*in sind Sie Repräsentant*in der Deutschen Lufthansa AG und sollten deshalb keine sichtbaren Piercings, kein Zungenpiercing/kein Zahnschmuckstein und keine Tattoos im sichtbaren Bereich tragen." Die Vorgabe der Körpergröße dient nicht dazu, wie es zunächst scheint, Flugbegleiter*innen mit Modelaussehen zu finden, sondern ist eine Frage der Sicherheit: Alle Flugbegleiter*innen müssen an die Gepäckfächer über den Sitzen und die verstaute Notfallausrüstung kommen. Joana hat Glück. Sie erfüllt alle formalen Voraussetzungen. Ein Mitarbeiter kontrolliert ihren Personalausweis, fotografiert sie mit einer Polaroidkamera, tackert das Foto an den Fragebogen und winkt sie ins Hotel. Ab jetzt heißt es warten.

Das ausführliche Assessment Center ist Geschichte

Bei Brezeln und Kaffee sitzt Joana zusammen mit den ersten 300 Bewerber*innen im Foyer des Hotels und wartet auf den nächsten Test: Ein Gespräch auf Englisch mit einem*r Flugbegleiter*in. Joana und ihre Mitstreiter loten den Tag aus: Wer weiß, was auf sie zukommt? Wer hat schon als Flugbegleiter*in gearbeitet? Schnell wirken viele Grüppchen der Bewerber*innen so, als würden sie sich seit Jahren kennen. Handynummern werden ausgetauscht und Whatsapp-Gruppen gegründet. Man will ja wissen, wie es bei den anderen weitergeht.

Die Veranstalter*innen des Castings haben ordentlich aufgefahren: Überall stehen Bordtrolleys mit Snacks, vor denen hübsche Flugbegleiterinnen in Uniform stehen. Überall werben Plakate und Videos für den Job über den Wolken. Das alles wirkt unheimlich toll und perfekt, wie stressig der Job als Flugbegleiter*in sein kann, dass man nur wenig Aufenthalt in anderen Ländern hat und manchmal nur wenige Stunden Zeit, sich kurz im Hotel zu erholen, davon spricht an diesem Tag niemand.

"Insgesamt herrscht in Deutschland ein Fachkräftemangel", sagt Klaus Jacobsen, der das Casting organisiert hat. "Durch die niedrigen Eingangsvoraussetzungen, wollen wir direkter an die Bewerber herantreten und mehr von ihnen erreichen." Wer sich noch vor einiger Zeit bei der Fluggesellschaft beworben hat, dem mag das neue Bewerbungsverfahren recht abgespeckt vorkommen: Statt Online-Test, Telefoninterview und Assessment Center gilt es beim Casting nur zwei Tests zu bestehen. Ein Gespräch auf Englisch und eins mit einem Psychologen.

Das zieht die jungen Leute an: Zu den vier Castings in Heidelberg, Mainz, Augsburg und Regensburg sind insgesamt 1900 Bewerber*innen gekommen, von denen 1350 am Casting teilnehmen konnten. Den anderen wurden aus Kapazitätsgründen Ersatztermine angeboten. Ein Drittel der Bewerber*innen, die am Casting teilnahmen, erhielt eine Zusage und kann in Kürze die Schulung zum*r Flugbegleiter*in beginnen. Eine solche Schulung dauert drei Monate, unter anderem müssen Teilnehmer*innen an drei Flügen teilnehmen. Für die Zeit gibt es eine Aufwandsentschädigung von 1.240 Euro. Das Grundgehalt liegt bei 1386,10 Euro, vergangenes Jahr gab es einen großen Streik des Kabinenpersonals.

Wer's nicht schafft, ist für ein Jahr gesperrt

"Nummern 40 bis 50", ruft ein Mitarbeiter und winkt Joana und neun weitere Bewerberinnen in einen weiteren Wartebereich. Nach ein paar Minuten wird Joana zum Englischtest abgeholt. Warum willst du Flugbegleiterin werden? Welche Eigenschaften sollte ein*e gute*r Flugbegleiter*in haben? Wodurch zeichnet sich exzellenter Service aus? – Solche Fragen muss Joana auf Englisch beantworten. Sie ist aufgeregt, lässt es sich aber nicht anmerken – und besteht den Test. Das Gespräch mit einem Psychologen ist kniffliger, der Mann bohrt nach, auch auf Englisch.

Zwei Stunden, nachdem Joana sich in die Schlange vor das Hotel gestellt hat, hält sie ihre Zusage in Form einer Bordkarte in der Hand. "Jetzt kann ich endlich feiern", sagt sie. Wer eine Zusage erhält, darf noch schnell ein Foto mit zwei Flugbegleiterinnen in Uniform machen. Für die, die es nicht geschafft haben, gibt es einen Schlüsselanhänger. Wer heute leider kein Foto bekommt, um es mit Heidi Klums Worten zu sagen, ist für ein Jahr gesperrt, kann sich nach Ablauf der 365 Tage aber erneut bewerben.