Dass nach trump‘schen Vorbild ein politisches Erdbeben, das die Bevölkerung komplett entzwei reißt, auch im Herzen Europas herbeizuführen ist, beweist gerade die polnische Regierung. Jaroslaw Kaczynski, Vorsitzender der rechtsnationalistischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), will mit einer Justizreform die Gewaltenteilung in unserem Nachbarland quasi ad acta legen. Das Parlament soll über die Besetzung wichtiger Richter*innenposten entscheiden, der Justizminister die höchsten Richter*innen des Landes ernennen und entlassen können, und das Verfassungsgericht vorübergehend faktisch aufgelöst werden.

Senat und Parlament, dominiert von Kaczynskis PiS-Partei, stimmten der Gesetzesnovelle bereits zu. Der darauffolgende Aufschrei der Pol*innen war laut. So laut, dass ihn sogar Polens Präsident Andrzej Duda vernahm und am Montag sein Veto gegen Teile der Reform einlegte.

"Hier passiert gerade etwas Besonderes"

"Duda hat in seiner Amtszeit bislang eigentlich nie Gegenposition zur Regierung bezogen. Das ist schon ein Zeichen, dass gerade etwas Besonderes passiert", erklärt Damian. Der 23-Jährige stammt aus Breslau, der viertgrößten polnischen Stadt, hat hier Informatik studiert und gerade seinen ersten Job angefangen.

Abertausende Menschen kommen seit Tagen auf den Straßen der größten polnischen Städte zusammen. Seit Samstag, als der Senat die Reform durchwinkte, nimmt der Protest historische Ausmaße an. Die entsetzte Botschaft der Demonstrant*innen, die oft mit Polen- und Europa-Flaggen behangen sind, lautet seitdem: "Zurück ins politische System der Sowjet-Zeit? Nicht mit uns!" In Warschau und Breslau zogen sich die Menschenschlangen einmal durch die historischen Zentren der Städte.

"Die aktuelle Situation ist einfach beschissen"

"Solche Proteste hat es hier seit ich denken kann noch nicht geben", sagt Zuza. Sie macht gerade ihr Abitur, den Kommunismus der Sowjetunion kennt sie nur aus den Geschichtsbüchern. Die 18-Jährige und ihre Freundin Jagoda fühlen sich als Europäerinnnen, sie sind mit offenen Grenzen und in einem liberalen und demokratischen System aufgewachsen – und werden richtig wütend, dass diese Verhältnisse gerade infrage gestellt werden.

"Die aktuelle Situation ist einfach beschissen", sagt Zuza. "Keiner von den jungen Menschen in Polen unterstützt mehr die Regierung." So einfach ist das für Damian nicht. "Ich würde nicht sagen, dass das ein Konflikt zwischen der jungen und der alten Generation ist", findet der 23-Jährige. Er selbst ist sich zum Beispiel noch gar nicht im Klaren, ob er die Reformen nun gut oder schlecht finden soll.

Ihn regt viel mehr etwas anderes auf, was im Konflikt um die umstrittenen Gesetze auffällt: "Wir Polen können nicht mehr miteinander diskutieren. Es gibt das eine Lager und das andere und alle schreien sich nur noch an. Was in unseren sozialen Medien abgeht, ist nicht mehr normal."Am Dienstag unterschrieb Präsident Duda den dritten Teil von Kaczynskis Gesetzentwurf, der dem Justizminister fast unbegrenzte Kontrolle über das Oberste Gericht zusichert. Eine Ohrfeige für alle Regierungsgegner*innen, die am Montag noch Hoffnung hatten, dass die Reform komplett abgeschmettert wird. "Dieser Teil war allen eigentlich am wichtigsten", sagt Damian.

Wie soll es in Polen nun weitergehen? "Die Proteste werden anhalten", kündigt Zuza an und Schulkameradin Jagoda stimmt ihr zu: "Für morgen Abend ist schon die nächste Kundgebung auf dem Rynek geplant."