"Die Geburt ist der intimste Moment, den eine Familie erleben kann. Wir dürfen dabei sein und dafür sorgen, dass es möglichst schön wird", sagt Rose Schultz mit überzeugtem Blick. Dass sie Hebamme werden will, wusste sie eigentlich schon immer. Ihrer Kommilitonin Rebecca Eheim war das nicht so klar. Sieben Jahre lang hat sie in der Pflege gearbeitet, bevor sie beschloss, noch einmal umzuschulen. "Der Kreißsaal ist eine andere Welt als das restliche Krankenhaus. Die Frauen, die zu uns kommen, sind nicht krank. Man fängt mit einem Menschen an und am Ende hat man zwei – oder mehr. Das ist sehr beeindruckend", schwärmt die 27-Jährige.

Beide, Rose und Rebecca, haben sich deshalb Anfang des Jahres für eine Hebammenausbildung in München beworben. Statt einer Zusage landete folgende Nachricht in ihren Briefkästen: "Unsere Ausbildung darf nicht mehr stattfinden." Grund dafür ist die Entscheidung der Bundesregierung, den Hebammenberuf zu akademisieren und ein Studium verpflichtend zu machen. Am 18. Januar tritt das neue Gesetz offiziell in Kraft.

Den jungen Frauen blieb nur die Möglichkeit, sich für ein Studium zu bewerben. Deutschlandweit gibt es noch nicht viel Auswahlmöglichkeit, etwa 20 Universitäten bieten das Studium an. Beide entschieden sich für die Katholische Stiftungshochschule München. "Mich fasziniert Geburt von klein auf", sagt Rose. Dabei hatten weder Familie noch Bekannte mit dem Thema zu tun, die 18-Jährige hat keine kleinen Geschwister, deren Geburt sie hätte miterleben können. Und trotzdem: "Das Berufsbild der Hebamme ist eines, in dem ich mich sehe. Auch, weil es viele Möglichkeiten gibt, sich zu entfalten."

Rebecca dagegen war schon lange mit dem Thema in Berührung: Während ihrer Ausbildung war sie schon im Kreißsaal, ihre Mutter ist selbst Hebamme. "Dadurch hatte ich eigentlich immer Kontakt zu dem Thema. Aber mir war nie klar, dass das auch ein Weg für mich sein könnte – bis jetzt." In der Pflege hatte Rebecca viel mit dem Ende des Lebens zu tun, "mit Alter und mit allem, was einen Menschen mit Krankheit verbinden kann." Nach sieben Jahren hat sie festgestellt: Bis zur Rente möchte sie das nicht machen. "Mit der Schwangerschaft einer Freundin habe ich mich daran erinnert, wie interessant dieses Gebiet ist." Jetzt also studiert Rebecca, gemeinsam mit Rose, an der Katholischen Stiftungshochschule München.

Sieben Semester, 40-Stunden-Woche, wenig Personal

Der Studienalltag der beiden Studentinnen besteht aus einer 40-Stunden-Woche, manchmal ist es mehr. Um 8.30 Uhr beginnt ihr Tag während der Theoriephase, nur selten ist vor halb fünf Uhr Schluss. In den meisten Veranstaltungen herrscht Anwesenheitspflicht. Im Klinikum gilt: Schichtarbeit. Auch die Semesterferien der Hebammenkundestudierenden sind deutlich kürzer, zu Beginn des Semesters hatten sie die gleiche Anzahl an Urlaubstagen wie ein*e Arbeitnehmer*in. Mit der Gesetzesreform soll sich das ab Januar immerhin ändern.

Durch Gesetz und Reformen hat die Münchner Studiengangsleitung Constanze Giese zurzeit alle Hände voll zu tun mit dem neuen Studiengang. "Unsere Planungen laufen parallel zu den politischen Entscheidungen, die wir zeitnah umsetzen wollen", sagt sie. Denn mit der Umstellung von Ausbildung und Studium wurden die gesetzlichen Regelungen zuletzt durch die Anpassungen an europarechtliche Vorgaben umfassend verändert. "Die Praxiszeit wurde verkürzt, das Verhältnis zwischen Theorie und Praxis liegt jetzt bei etwa 50 zu 50." 2.200 Pflichtstunden müssen die Studierenden innerhalb der sieben Semester, auf die der Bachelor angesetzt ist, machen. Alles, was die Studienordnung betrifft, ist streng reglementiert.

Nichtärztliche Heilberufe werden notorisch unterschätzt. Sie sind hochkomplex.
Constanze Giese

Ein großes Problem für die Studienorganisation sei derzeit, dass es in Deutschland kaum promovierte Hebammen gibt, die als Professorinnen an den Hochschulen lehren dürfen. Wie viele es seien, sei unklar, sagt Giese. "Es ist immer wieder von sieben Personen in Deutschland die Rede." An der Katholischen Stiftungshochschule München ist genau eine. Sie kümmert sich um alle fachspezifischen Lehrveranstaltungen und Praxisbegleitungen, die mit der Hebammenkunde zu tun haben – alle allgemeinen medizinischen Dinge werden von anderen Professor*innen gelehrt.

Aktuell gibt es 27 Studentinnen in der Hebammenkunde, da ginge das noch. Wenn der zweite Jahrgang kommt, wird es eng. "Wir müssen das Personal über die Jahre selbst entwickeln – und hoffen, dass wir das können", so Studiengangsleitung Giese. Trotz Anfangsschwierigkeiten befürwortet sie die Akademisierung des Hebammenberufs: "Nichtärztliche Heilberufe werden notorisch unterschätzt. Sie sind hochkomplex, in der Pflege wurde lange darum gerungen, dass endlich anerkannt wird, wie anspruchsvoll sie sind, dass man das studieren muss und dass es noch nie gereicht hat, dass die Frauen empathisch sind und Händchen halten. Jetzt wurde das endlich verstanden. Wir wollen das mit voranbringen." Rose und Rebecca halten die Entscheidung für einen guten und richtigen Weg und sind bisher mit ihrem Studium zufrieden.

Freiberufler*innen verdienen immer weniger mit der Geburtshilfe

Rose hat bisher während des ersten Semesters vier Wochen an der Wochenbettstation im Klinikum verbracht. Dabei durfte sie schon so einiges alleine ausprobieren: Sie durfte Katheter entziehen, Spritzen geben, Mutter und Kind nach dem Kaiserschnitt versorgen und Stillhilfe geben. Rebecca hat ihre Praxiszeit direkt im Kreißsaal verbracht. Was sie dort gesehen hat, hat die 27-Jährige völlig überwältigt. "Bei drei Geburten war ich dabei, zwei spontane und ein Kaiserschnitt. Das war magisch. Eigentlich ist es ein weltgeschichtliches Ereignis, das man da erlebt. Jede Geburt gibt es nur einmal", so die Studentin. Seitdem ist sie sich sicherer als je zuvor, dass sie Hebamme werden will.

Hebamme sein, heißt, Verantwortung zu übernehmen und auch dann weiterzuarbeiten, wenn der Beruf schwierig wird. Etwa im Fall von Totgeburten, wenn neben der medizinischen auch eine seelische Pflege notwendig ist. Oder bei Schwangerschaftsabbrüchen: "Eine Kommilitonin von uns war bei einem Abbruch dabei, ich selbst noch nicht. Aber wir haben es in einem Kurs besprochen, und da herrschte plötzlich eine ganz andere Stimmung im Raum", erzählt Rose. "Es ist ein schweres Thema und es ist wahnsinnig wichtig, dass man auf diese Momente vorbereitet ist. Unsere Kommilitonin wurde da in kaltes Wasser geschmissen, weil es ganz am Anfang des Studiums passiert ist. Sie ist damit ziemlich gut umgegangen. Ich weiß nicht, wie es mir ergangen wäre."

Eigentlich gibt es in Deutschland viele ausgebildete Hebammen, etwa 24.000 sind es laut dem Deutschen Hebammenverband, Tendenz steigend. Aber: Viele von ihnen arbeiten nur in Teilzeit, geben Kurse und keine Geburtshilfe mehr (PDF). Hausgeburten sind nur noch selten möglich, weil oft keine Hebamme verfügbar ist. Die Arbeitsbedingungen sind nicht gerade rosig: Im Krankenhaus haben viele Hebammen keine Zeit für Pausen, Freiberufler*innen verdienen immer weniger mit der Geburtshilfe, dazu kommen hohe Versicherungskosten. Kreißsäle und Geburtshäuser müssen schließen, weil das Personal fehlt – womit die Belastung für die übrigen Hebammen noch größer wird.

Wir müssen immer im Blick haben: Wie viel verdienen wir dabei, wie viel Spaß macht uns das?
Rose Schultz

Viele entscheiden sich deshalb, umzuschulen. Auch Rebeccas Mutter war seit der Geburt ihres Bruders bei keiner Geburt dabei. Stattdessen hält sie Vorträge an Grundschulen und Behinderteneinrichtungen. Rebecca selbst macht sich Sorgen, dass es ihr in Zukunft ähnlich ergeht. Sie hat die Erfahrung im Pflegeberuf schon gemacht. "Es gibt viele Möglichkeiten, zum Beispiel Vor- und Nachbereitung zu machen und Kurse anzubieten. Aber damit bist du aus dem Hauptgeschäft, aus der Geburtshilfe raus", sagt sie. Dabei ist der Geburtsvorgang für Rose und Rebecca der faszinierendste Teil der Hebammentätigkeit.

"Wir müssen immer im Blick haben: Wie viel verdienen wir dabei, wie viel Spaß macht uns das?", sagt Rose. Gesellschaftlich, glaubt sie, ist die Anerkennung für den Beruf da. Mehr Unterstützung wünscht sie sich aber zukünftig von staatlicher Seite. Für sie geht es gar nicht, dass es immer weniger Hausgeburten gibt, stattdessen mehr Geburten in Kranken- und Geburtshäusern. "Das ist ein Produkt dessen, dass es zu wenig Hebammen gibt. Da kann man die Patientinnen schneller behandeln. Aber eigentlich ist es nicht richtig, eine Frau, die vor fünf Tagen entbunden hat, mit ihrem fünf Tage alten Kind auf die Straße zu schicken, um zu einer Praxis zu kommen", sagt die 18-jährige Studentin. "Es muss sich für die Hebammen lohnen, zu den Patientinnen nach Hause zu fahren", stimmt Rebecca zu.

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